Anlässlich der Soliwoche hat unser Genosse aus Rojava eine Grussbotschaft verfasst. Viel Spass beim lesen:
Eine verrückte Woche. Sie begann mit der Nachricht eines erneuten
Daesh-Angriffs in Nizza am französischen Nationalfeiertag, die schon
kurz darauf von den Neuigkeiten über einen Putsch in der Türkei abgelöst
wurden. Ich war den Abend zu Besuch bei türkischen Genoss*innen. Nach
einem entspannten Abendessen schlug die Stimmung schnell in verhaltene
Euphorie um, als die über den Bildschirm flimmernden Berichte über
Kämpfe des Militärs gegen die Polizei die Hoffnung auf einen
Zusamenbruch des türkischen Staats aufflammen ließen.
Auch auf den Straßen Rojavas war der Putschversuch am nächsten Morgen in
aller Munde. Es herrschte eine allgemeine Stimmung der nervösen Freude
ob des scheinbar bevorstehenden Falls von Erdogans Regime und die
Enttäuschung war entsprechend groß, als der Umsturz schon gegen Mittag
als gescheitert gemeldet wurde.
In ihrem Hass auf Erdogan offenbart sich eine seltene Einigkeit zwischen
den sonst verfeindeten Lagern der Revolutionärinnen, KDPlern und
Baathistinnen. Selbst Daesh kann ihm glaube ich nicht mehr viel
abgewinnen. Ein paar Genoss*innen fiel die unpopuläre Rolle der Stimme
der Vernunft zu, als sie anmerken ließen, ein Putsch könnte die
politischen Fortschritte in der Türkei und Nordkurdistan um Jahre
zurückwerfen und genausogut bedeuten, dass wir uns morgen über Rojavas
Mangel an Luftschutzbunkern ärgern müssen. Die Annahme, dass putschende
türkische Militärs unserem revolutionären Projekt wohlgesonnnen sind,
ist erfahrungsgemäß doch etwas fehlgeleitet.
Wer auch immer den gescheiterten Putsch dirigiert hat, der größte
Profiteur ist eindeutig Erdogan, dessen aktuelle Säuberungen des
Saatsapparates anscheinend recht gut vorbereitet waren.
Tausende sind in den Tagen nach dem Putschversuch in Nordkurdistan auf
die Straße gegangen, einem Aufruf des KCK folgend. Der neue Exzess von
Staatsgewalt zusammen mit Yildirims und Erdogans Kommentaren zur
möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe lassen viele mit Sorge nach
Imrali blicken, die Insel, auf der Öcalan seit Abschaffung der
Todesstrafe Anfang des Jahrtausends inhaftiert ist. Seit der Krieg in
Nordkurdistan erneut ausgebrochen ist, haben die Genoss*innen der
Guerrilla und YPS sehr defensiv gekämpft. Doch allen ist klar, sollte
Öcalan etwas zustoßen, dann werden Istanbul und Ankara schon bald den
Charme der Innenstadt Aleppos ausstrahlen.
In Rojava wurde im Frühling die Föderation ausgerufen, Qamişlo und
Nisêbîn wurden durch eine Mauer voneinander getrennt und simultan von
Assad und Erdogan mit Artillerie beschossen, und die Vereinigung aller
drei Kantone ist schon fast in greifbare Nähe gerückt.Im Februar haben die Kräfte des Demokratischen Syriens (QSD) den Euphrat überschritten und im Juni nach einem Scheinangriff auf Raqqa die Stadt Minbic
umzingelt. Die Eroberung der Stadt geht sehr langsam vorwärts, da Daesh
fast jedes Haus und jeden Straßenzug vermint hat und sich zudem noch
etwa eine Viertelmillion Zivilist*innen in der Stadt befinden. Die USA
unterstützen den Angriff nur widerstrebend, sie hatten verlangt, dass
die QSD zunächst auf Raqqa marschieren. Ihre Luftschläge haben im
letzten Monat Dutzende Einwohnerinnen und kämpfende Genossen das Leben
gekostet.
Die Sommerhitze hat eingesetzt und so sind wir trotz allen Kampfgeistes
froh, nicht in Minbic an der Front zu sein.Da der Strom nur ab und an funktioniert, hängen unsere neuen Ventilatoren gerade recht nutzlos von der Decke. Wenn der heiße Ostwind weht, fühlt man sich, als sei man in einen riesigen Ofen geschoben worden.
Letzten Monat haben die Räte beschlossen, dass binnen zwei Jahren
mindestens 50% aller Dörfer Rojavas kommunalisiert werden sollen. Also
ohne Privatbesitz und mit kollektiver Verwaltung aller Güter und Landstücke. Die kommunalen Dörfer bekommen volle Unterstützung von den Volksräten. Wer dann weiterhin gerne Kapitalismus haben will, darf das auch, nur eben ohne uns.
Zum Jubiläum der Revolution – sowohl der von Rojava als auch der
spanischen – am 19. Juli haben wir die CNT-Hymne „A las Barricadas“ ins
Kurdische umgeschrieben und aufgenommen. Wir hoffen, sie gefällt euch.
In Solidarität und mit yuppieverachtenden Grüßen aus dem Herzen der
neuen Welt,
euer Salvador